Neue Wege gehen
Eugenia Binz erlitt im Oktober 2019 einen Hirnschlag. Im Frühling 2022 startete sie im ZBA eine dreimonatige beruflich-medizinische Abklärung. Bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wird sie, im Rahmen einer weiteren beruflichen Massnahme, durch das ZBA begleitet. Seit Oktober 2022 absolviert sie ein Arbeitstraining im Alters- und Pflegeheim, Zentrum Höchweid, in Ebikon.
Was erzählen Sie einer aussenstehenden Person über Ihre Zeit im ZBA?
Ich habe eine berufliche Abklärung absolviert, bei welcher nach einem bewährten, standardisierten System vorgegangen wird. Ich begann mit kurzen und einfachen Aufgaben, wie einem Buchstabensalat und arbeitete mich Schritt für Schritt weiter, zu immer komplexeren und länger werdenden Aufgaben. Die Auswertungen dieser Aufgaben haben mir bestätigt, was ich immer empfunden habe und mir Antworten geliefert. Als ich nach dem Schlaganfall wieder in den Berufsalltag zurückgekehrt bin, habe ich viele Fehler gemacht. Es hiess immer: "Wir machen alle Fehler", aber ich wusste, dass ich unüblich viele Fehler gemacht habe, die mir zum Teil selbst nicht aufgefallen sind. Gerne erzähle ich zudem, dass im ZBA erfreulicherweise verschiedene Sachen wieder funktionierten, von denen ich dachte, dass ich es gar nicht mehr kann.
Welche einzigartigen Erfahrungen und Impulse aus der Zeit im ZBA haben Sie persönlich am stärksten geprägt?
Im ZBA bin ich zur Ruhe gekommen und hatte viel weniger Stress und Druck als in meinem Job. Dadurch konnte ich ein grosses Stück "herunterfahren", was meiner Gesundheit sehr zuträglich war. Ich habe gemerkt, wie das Leben auch noch sein kann. Eine andere schöne Erfahrung war, dass ich Einblicke in andere Lebenswelten bekommen habe. Im ZBA bin ich Menschen begegnet, die ich in meinem Umfeld nicht getroffen hätte. Trotz der heterogenen Gruppe von Rehabilitierenden war eine gegenseitige Akzeptanz spürbar. Unseren Austausch habe ich als spannend und lehrreich empfunden.
Zudem konnte ich im Umgang mit Word und Excel einiges dazulernen, was ich jetzt in meinem Arbeitsversuch direkt anwenden kann.
Was davon nehmen Sie in Ihr zukünftiges Berufsleben mit und wie zeigt sich das konkret?
Ich nehme ein gestärktes Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten mit. Ich weiss besser, wo ich stehe, was ich kann und wo ich Einschränkungen habe, aber auch wo ich Fortschritte erzielte. Zudem bin ich mich laufend am Schulen, frühzeitig zu spüren, wann es für mich zu viel wird und mir dies dann auch einzugestehen.
Sie absolvieren einen Arbeitsversuch in der Administration im Alters- und Pflegeheim, Zentrum Höchweid, in Ebikon. Was ist aus Ihrer Sicht für ein gutes Gelingen und eine optimale Zusammenarbeit wichtig?
Das Wichtigste für mich ist die Transparenz. Von meiner Seite her bedeutet Transparenz, dass ich meiner Arbeitgeberin kommuniziere, wo meine Grenzen sind, wenn ich sie denn kenne. Seitens der Arbeitgeberin bedeutet Transparenz, dass sie diese Grenzen zur Kenntnis nimmt und man nach Möglichkeit zusammen versucht, bestehende Ressourcen zu erweitern. Von beiden Seiten her sollte eine Offenheit vorhanden sein, welche es ermöglicht, Kritik als auch Lob zu üben.
Für mich ist es zudem wichtig, dass ich nicht mit Samthandschuhen angefasst werde. Wenn mir eine Schonhaltung entgegenkommt, verhindert dies einen unkomplizierten Austausch, weil dann jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Für eine gute Arbeitsbeziehung braucht es also ein grosses Stück Normalität.
Was denken Sie, ist für Arbeitgeber in der Zusammenarbeit mit Menschen mit einer Hirnverletzung wichtig zu wissen?
Arbeitgeber sollten sich bewusst machen, dass ein Mensch mit einer Hirnverletzung ein mehr oder weniger lebensbedrohliches Ereignis hatte, von welchem er sich regeneriert hat, aber dennoch (mehr oder weniger) eingeschränkt ist. Jedoch möchte dieser Mensch wieder ins Berufsleben einsteigen und ist motiviert. Diese Motivation sollte wertgeschätzt werden, auch wenn er oder sie nicht die gleiche Leistung erbringt oder nicht die gängigen Anforderungen erfüllen kann, wie jemand Gesundes. Dennoch sollte ein Arbeitgeber die Haltung einnehmen: fördern und fordern. Er sollte die Person nicht nur Zeitungen austragen lassen, sondern ihr etwas zutrauen.
Meine Vision ist, dass es wieder mehr Nischenarbeitsplätze gibt. Ich beobachte, dass immer weniger Menschen die gleiche Arbeit machen müssen. Darum denke ich, dass es in den Betrieben genug zu tun gäbe. Allerdings müssten in der Gesellschaft einfache Arbeiten wieder mehr Wert bekommen. Ich bin überzeugt, dass jeder Betrieb eine Person mit Einschränkungen benötigen könnte und diese sogar eine Bereicherung und eine Entlastung sein kann.
Als Hobby sind Sie als Clown tätig. Wie kamen Sie auf diese einzigartige Idee?
Humor ist für mich in meinem Leben und Berufsleben sehr wichtig. Irgendwann war mir klar, dass ich neben meinem Job, der sich manchmal wie ein Hamsterrad angefühlt hat, noch etwas anderes machen will. Nach dem Hirnschlag war die Clownerei für meinen Genesungsprozess sehr wichtig. Sie half mir, immer wieder die Freude heraufzuholen und den Humor nicht zu verlieren. Bei der Clownerei habe ich noch Fortschritte gemacht, während ich bei der Arbeit das Gefühl hatte zu stagnieren, weil ich andere Hirnregionen und vor allem den Körper mehr benötigte. Mir ist bewusst geworden, dass wenn es dem Körper gut geht, es einem mental auch gut geht.
Was würden Sie Menschen, die kürzlich eine Hirnverletzung erlitten haben, mit auf den Weg geben?
Den Lebensmut nicht verlieren, würde ich als Erstes sagen. Mir ist bewusst, dass es Menschen mit einer Hirnverletzung gibt, bei welchen nicht mehr so viele Ressourcen vorhanden sind. Grundsätzlich haben aber alle noch Fähigkeiten oder können andere oder neue Fähigkeiten entwickeln. Neue Wege zu gehen, Verschiedenes auszuprobieren und weiterhin am Leben teilzunehmen, finde ich wichtig, auch wenn das nicht immer einfach ist. Zum Beispiel, wenn jemand nicht mehr sprechen kann. Der Eigenantrieb ist dabei wesentlich. Wenn ein Mensch mit einer Hirnverletzung sagt: "Ich will", dann gilt es herauszufinden, wo dieser Antrieb ist und was diesen stärken könnte. Vielleicht braucht jemand dazu Hilfe von extern, zum Beispiel durch eine Selbsthilfegruppe der Fragile Suisse. Das Leben ist Lernen auf allen Ebenen und das endet auch mit einer Hirnverletzung nicht. Wenn vieles im Aussen nicht mehr möglich ist, könnte die Persönlichkeitsentwicklung ein Anfang und zugleich ein Anker sein.